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Schwarzer Büstenhalter

 

 

 

 

Schwarzer Büstenhalter

 

 

 

 

Kurzgeschichte

 

 

 

 

Die Anzeige in der Tageszeitung über die Eröffnung eines neuen Lokals mit dem Namen „podcast“ lockte Peter aus der Routinebahn seines Alltags. Spontan entschloss er sich, das Lokal noch am selben Tag aufzusuchen. Auf dem Weg spielte er mit seinem Atem, der, kaum ausgehaucht, als Zwergwölkchen dahinschwand. Die Straßenleuchten fahlen Lichtes rangen mit dem herunter fallenden Dunkel des späten Wintertages. Peter war der Überzeugung, dass die Dunkelheit die Geräusche der Schritte dämpfte. Er stellte sich vor, dass die Schritte der Vorbeigehenden von Pfoten stammten.

Träges Licht hing über dem Tresen des „podcast“ und spendete Ruhe für die Gäste. Aus den Wänden harmonierte leise Musik die Gemüter. Peter mochte dieses Ambiente und freute sich über die höfliche Art, mit der der Barkeeper ihm die frisch gedruckte Karte überreichte.

In der Tiefe des Raumes führt eine Treppe in einen höher gelegenen Bereich des Lokals. Peter erkannte im Hintergrund eine Leinwand und eine Leiste von Strahlern, die an der Decke montiert sind. Eine Bühne, dachte er. Er bestellte sich eine Weissweinschorle und studierte den Text auf der Rückseite der Karte. Dort las er, dass das Lokal auch dazu dienen könne, eigene podcasts zum Beispiel für Bewerbungen zu erstellen. Die Bühne würde auch genutzt, um Vorlesungen zu gestalten. Gleich stellte er sich vor, dass er dort stehen oder sitzen würde, um etwas vorzutragen. Bei diesem Gedanken schüttelte er langsam den Kopf und griff zu seinem Glas, um den Gedanken herunterzuspülen.

Sie sind auch zum ersten Mal hier?

Die Stimme schwang sich von links zu ihm und klang sanft. Sie war gleichzeitig so bestimmt, dass Peter nicht um eine Antwort herumkam.

Die haben doch erst heute geöffnet.

Nein, heute ist schon der dritte Tag. Sie haben die Anzeige mehrfach geschaltet. Ich war schon am ersten Tag hier. Neugierig. Immer, wenn ein Lokal neu öffnet, gehe ich am ersten Tag hin. Und wenn es mir gefällt, komme ich öfter.

Peter drehte sich der Stimme zu. Sie kam aus einem blassrot geschminkten Lippenpaar. In einem Gesicht, welches Peter zwang, länger als einen Kennenlernmoment hineinzusehen.

Ach so.

Auf dem Tresen steht ein überdimensionaler Cognacschwenker aus rotem Glase. Durch den großen Kelch dieses Glases schaut wie hineingezaubert eine große schwarze Rose.

Peter mahnte sich selbst, weil seine Antwort doch sehr knapp ausgefallen war.

Ist eine gute Idee, eine schwarze Rose so zu verstecken, oder?

Sein Kopf drehte sich erneut nach links.

Ist das versteckt oder verschleiert?

Guten Abend, ich bin der Peter.

Marimée.

Verschleiert hört sich gut an.

Ich frage mich gerade, ob diese schwarze Rose in diesem großen Glas duftet. Viele Rosen duften. Manche weniger oder gar nicht. Woran liegt das?

Vielleicht können sie einander nicht riechen. Oder sie hören auf zu duften, wenn sie einen nicht leiden können.

Peter lächelt Marimée an.

Ja, man muss sich riechen können.

Peter leerte sein Glas.

Darf ich Sie auf einen Drink einladen?

Marimée hängt mit ihren Blicken an dem großen roten Cognacglas. Das träge Licht über dem Tresen umschmeichelte die Glas-Rosen-Kombination und befreite das Glas von seiner Härte.

Danke für die Einladung. Ich nehme sie an. Mir gefällt die Weichheit des Glases. Man muss die Dinge nur ins rechte Licht setzen. Gibt es eigentlich auch schwarzen Wein?

Ich würde ihn nicht trinken. Der sähe ja aus wie Tinte. Wenn man Tintenfische ausschlägt auf den Felsen am Meer, dann fließt schwarzer Fischwein aus Blut.

Woher wissen Sie das? Haben sie es erlebt?

Ich habe Fischern zugeschaut. In Griechenland. Und in Spanien. Das war spannend.

Tintenfische tragen keine Brillen.

Wie kommen Sie denn jetzt auf Brillen?

Ich bin eben ein wenig anders. Nonkonformistisch, verstehen Sie?

Peter nickte.

Das müssen Sie mir bei Gelegenheit erklären. Ich würde mich freuen, wenn wir uns bald wieder treffen würden.

Ohne schwarzen Wein, wenn es geht. Ich würde mich auch freuen, wenn wir uns treffen.

Wenig später stand Marimée auf und verabschiedete sich von Peter. Er spürte, dass sie alleine gehen wollte und nahm den von ihr zugeschobenen Zettel in seine Hand und schaute ihr nach. Zunächst setzte sich eine Glocke aus Enttäuschung und Leere über ihn. Die Weinschorle hatte ihren Geschmack verloren.

Peter folgte auf dem Nachhauseweg den Schienen der Tramlinie, die sich durch die Steinschluchten der Stadt winden. Das Bild der schwarzen Rose in dem roten Glas begleitete ihn und setzte sich in seine Atemwölkchen.

Vielleicht gibt es ja doch schwarzen Wein. Ich werde ihn suchen. Ich sollte rote Weingläser finden. Oder lieber roten Wein in schwarze Gläser gießen?

Über den lichtlosen Häusern schreiben die läutenden Glocken Peters Schrittgeschwindigkeit vor. Peter freute sich, dass er das Lokal „podcast“ aufgesucht hat. In seinem Traum trank er schwarzen Wein aus einem großen roten Glas und ein Tintenfisch schaute ihm durch eine Brille zu.

Marimée hat sich für den Schlaf in ein rotes Tuch gehüllt.

Das Telefonat mit Marimée war wie eine Kurzgeschichte. Es hatte ein offenes Ende, aber sie haben sich auf einen gemeinsamen Abend verabredet. Peter rätselte an ihrer Aussage aus dem „podcast“: Ich bin eben ein wenig anders. Nonkonformistisch, verstehen Sie? Er machte sich auf die Suche nach schwarzem Wein.

Peter hat keinen schwarzen Wein gefunden. Aber schwarze Rosen und roten Wein.

Marimée öffnete ihm. Sie trug einen roten Abendmantel und einen schwarzen Büstenhalter.

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Selbsterkenntnis

 

Selbsterkenntnis

 

 

Kurzgeschichte

 

 

 

 

 

 

Die Hotelhalle ist leicht verdunkelt. Der wolkenbedeckte Himmel lässt nur phasenweise das Licht der Vormittagssonne durch. Elsa Blenn von der Firma DigTec AG kommt mit ihrer Strandtasche aus dem Aufzug und hält nach wenigen Schritten inne. Noch während des Frühstücks, welches sie auf der Terrasse zu nehmen gewöhnt ist, schien die Sonne wärmend auf ihren Rücken. Jetzt das.

Immerhin ist es nicht ganz dunkel. Hin und wieder strahlt ein Bündel Sonnenwärme durch die in östliche Richtung ziehende Wolkenschar und gibt Hoffnung auf einen weiteren angenehmen Ferientag.

 

Elsa Blenn hat mit Wellnessprogramm gebucht. Ihr körperliches, geistiges und seelisches Wohlbefinden solle im Rahmen dieses Programmes während ihres Urlaubs auf höchstes Niveau gebracht werden. Ihr Selbstwertgefühl werde deutlich aufgebessert, so hat sie es aus dem Prospekt behalten. Weiter hat sie über das Selbstwertgefühl gelernt: es besteht in der Einschätzung der eigenen Person, der eigenen Fähigkeiten und der Abschätzung des eigenen Wertes innerhalb der jeweiligen Gemeinschaft Daraus hat sie abgeleitet: Es geht nicht nur um mein Wohlbefinden, sondern auch um mich innerhalb der Gemeinschaft, in der ich mich befinde. Also muss ich sehen, wie mich die anderen sehen. Diese Forderung war ihre Erkenntnis. Heißt es nicht „sehen und gesehen werden“?

Zögernd was nun zu tun sei, schaut sie nach den Wolken, den hin und wieder hernieder leuchtenden Sonnenstrahlbündeln und auf die durch die Hotelhalle gehenden, schlurfenden oder eilenden Mitbewohner.

 

Es wird noch zu früh sein, jetzt zum Pool zu gehen. Gestern gab es am Nachmittag auch schöneres Wetter. Das wird heute auch so sein. Der nächste Wellnesstermin ist erst am späten Nachmittag. Kaffee habe ich auch genug getrunken.

 

Robert kennt sich mit Digitalkameras aus. Er hält die von Elsa Blenn begutachtend in seinen Händen.

 

Ja, ich kann damit umgehen.

 

Haben Sie ein wenig Zeit?

 

Elsa Blenn möchte ihre Chance nutzen.

 

Kommen Sie bitte mit, es gibt einen windstillen Platz. Zeigen sie mir, wie andere mich sehen. Damit ich sehe.

 

Robert kennt Elsa Blenn nicht. Er ist auch Hotelgast und hat für heute noch keinen Plan.

 

Warum soll er der Dame keinen Gefallen tun? Sie wird etwa 47 Jahre alt sein. Reif. Dunkelblondes Haar, erste Ansätze von Grau. Vollbusig, in einen luftigen Pareo gehüllt, Bluse und Shorts, Flip-Flops. Die unvermeidbare Handtasche. Alles Ton in Ton.

 

Robert hat seine Beobachtung hinter ihr her gehend gerade abgeschlossen, als sie den im Windschatten liegenden Terrassenbereich erreicht haben, der üblicherweise erst nachmittags zur Kaffee- oder Teezeit genutzt wird.

 

Machen Sie einfach ein paar Bilder. Ich will sehen, wie andere mich sehen, Und ich kann mich nicht von allen Seiten sehen.

 

Elsa legt ihre Tasche auf einen der am Terrassenrand stehenden Stühle und kehrt Robert den Rücken zu.

 

Er beobachtet die fremde Frau durch das Display und füllt den Speicher der Digitalkamera mit den ersten digitalen Informationen über verschiedene Ansichten von Elsa.

 

Vielleicht legen Sie auch den Pareo zur Seite.

 

Sie haben Recht. Das ist ja immer noch meine Verhüllung.

 

Ihre Bluse ist aus durchsichtigem Stoff. Während sie mit nach oben ausgestreckter Hand den Pareo in Richtung Stuhl fliegen lässt beobachtet Robert, dass die Wölbung ihres Busens auch aus der Rückenansicht zwischen niedergehendem Arm und Körper zu sehen ist. Digital konfirmiert.

 

Elsa dreht ihren Körper kokett weiter.

 

Robert zoomt die Nackenhärchen in den Speicher.

 

Es ist wie das Betrachten einer traumhaften Hügellandschaft, diese reife Frau anzuschauen. Robert hält in seiner Betrachtung kurz inne.

 

Durch die Bluse schimmert der Verschluss des Büstenhalters. Den kann Mann mit einer Hand öffnen.

 

Robert verharrt erneut mit leuchtendem Blick, geht einen Schritt nach vorne, die Kamera mit dem notwendigen Abstand vor sein Gesicht haltend.

Sein Fotoopfer verschwindet aus dem Display und Robert sieht die Farben des Pareos zur Trägerin zurückfliegen.

 

Dankeschön.

 

Die Sonne hat die Wolken verdrängt.

 

Wir sollten gelegentlich einen Drink zusammen nehmen.

 

Ja.

 

Sie nimmt ihre Digitalkamera aus der noch ausgestreckten Hand von Robert und legt sie in ihre Tasche zurück. Er hört nur kurze Zeit dem Klatschen der sich entfernenden Flip-Flops zu.

 

Während des Abendessens versucht Robert von seinem Einzeltisch aus herauszufinden, wo „sein Fotomodell“ sitzt. Schließlich besteht ja die Chance auf einen Drink. Und er kann diesen Pareo und dessen Inhalt nicht ganz aus dem Kopf bekommen. Er möchte die hübsche Dame näher kennen lernen. Ihr dunkelblondes Haar leuchtete so schön in der Sonne. Und er war ihr so nahe. Sehr nahe. Die Gedanken an sie haben ihn den ganzen Nachmittag begleitet.

 

Sie wird sicherlich alleine hier sein. Sonst hätte sie ihn nicht gebeten, diese Fotos zu machen. Ganz sicher. Ich muss sie finden.

 

Robert sucht sich nach dem Essen einen strategisch günstigen Platz an der Hotelbar. Hier müssen alle Gäste vorbei gehen. Er wartet und kann seine innere Spannung nicht verbergen.

 

Elsa Blenn hat ihr Abendessen beendet. Sie schlendert an den Boutiquen vorbei, die vor dem Barraum liegen. Robert sieht sie kommen und steht von seinem Barhocker auf.

 

Ich habe ganz vergessen, mich vorzustellen. Robert Dade, ihr Fotograf. Elsa Benn lächelt ihn.

 

Elsa Benn, Sie kannten ja meinen Namen auch nicht. Ich bin Ihnen noch einen Drink schuldig für Ihre Hilfe. Aber eins sage ich gleich: Ich zahle nur den ersten.

 

Robert freut sich. Er betrachtet sie, wie sie sich auf den Barhocker neben ihn setzt. Er lobt wortlos ihre Figur und die Bewegung beim Hinsetzen. Nachdem der Drink serviert ist, prostet er ihr zu. Sie stellt ihr Glas ab. Er nimmt ihre Hand und neigt seinen Kopf zu einem Handkuss.

 

Ich danke Ihnen, dass ich ihnen heute ein wenig helfen konnte. Wissen Sie jetzt, wie andere Sie sehen?

 

Ich werde Ihnen eine Antwort hierauf zunächst schuldig bleiben.

 

Ich würde Sie gerne noch einmal in dem Pareo sehen. Der hat mir gut gefallen.

 

Elsa blickt ihn kritisch fragend an.

 

Vielleicht mit sehr wenig darunter?

 

Das haben jetzt Sie gesagt.

 

Richard bestellt noch zwei Drinks und setzt voraus, dass Elsa Benn dagegen keinen Einwand hat.

 

Sie sprechen über den Urlaubsort, frühere Urlaubsreisen und dort gemachte Erfahrungen.

 

Nach dem zweiten Drink möchte Richard noch eine Bestellung auslösen. Doch Elsa fast ihn am Arm.

 

Ich möchte jetzt gerne in meine Zimmer gehen. Sie sind so nett und begleiten mich?

 

Richard sieht einen Pareo vor sich.

 

Sehr gerne, junge Frau.

 

Vor ihrem Zimmer dreht Elsa Benn sich zu ihm.

 

Einen schönen Abend noch. Ich werde noch ein wenig arbeiten. Ich bin Produkttesterin für Digitalkameras. Ich muss herausfinden, ob sie leicht und schnell bedienbar sind. Ich werde heute noch den Bericht über den Test mit ihnen fertig stellen.

 

Robert schlurft in dem Flur zurück zur Bar.

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