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Gebet

 

 

Gebet

 

 

Essay

 


 

Lieber Gott. Die Anrede reicht schon. Aber wie bin ich jetzt auf Gott gekommen?

Es ergab sich so: Man muss sich trennen können. Loslassen. Alle sagen das und nicken verständnisvoll. Aber wie macht man das? Ich habe einen ersten Versuch gemacht und habe die alten Ordner und Kisten auf dem Dachboden durchgestöbert.Dabei stieß ich auf ein Gedicht aus früheren Zeiten. Ich habe es auch nur gelesen, weil der Titel mir gefiel.

 

 

frostig

 

 

die paar gedanken

sind eingefroren

in zwecken

 

im wald haben

sie jetzt

laufstege

 

den armen dieser welt

geben sie per

dauerauftrag

 

die großen lassen

denken von morgen

denkenlassern

 

manche gehen nackt

mit ihrer gänsehaut

durch die alleen der presse

 

fasse deine gedanken

von über den wolken

und atme tief

 

 

Es ist mir schwer gefallen, das zu lesen. Ich musste es mehrfach tun. Und dann hat mich der Schluss gepackt. Da werde ich aufgefordert. Wozu? Da sind zwei Gedanken, einer eingefroren in Zwecken und der andere wohnt über den Wolken und kann gefasst werden. Das hat mich angesprochen. Da oben über den Wolken, das ist sicherlich so gemeint, dass es noch Freiheiten gibt, die mit den Zwecken nichts zu tun haben. Da ist Hoffnung und Glauben, da ist Gott, den wir immer lieb nennen.

Wenn ich die anderen Verse lese, dann sehe ich die Menschen in ihrer Zweckorientierung, ihren Alibihaltungen gegenüber den Bedürftigen, die Selbstbestätigung in ihrem Machtverhalten und die Ruhmsucht, die sie immer nackter werdend in die Medien tragen.

Da muss ich zur letzten Strophe springen. Und denke daran, dass ich früher oft zum Gebet fand und mich dort selbst zu schützen versuchte. In der kleinen Andacht.

Eine solche Andacht erfordert eine Haltung, die eine innere Sammlung zulässt und Hinwendung zu weltanschaulichen Betrachtungen erlaubt. Sie ist insoweit nicht abhängig von einer Religion, ist aber mit dem Phänomen des Glaubens an eine Seinsebene verbunden, welche über das Diesseitige hinausgeht.

Damit ist sie ergebnisneutral.

Das erzeugt mannigfache Chancen. Die Gedanken von über den Wolken sind auf eine höhere Seinsebene gelenkt und bedeuten insoweit Andacht. Gleichzeitig das Loslassen von dem Diesseitigen, um eben tief das einatmen zu können, was aus der Andacht in den Andächtigen hineinkommt.

Das aber ist ein Vorgang, der ausschließlich die Persönlichkeit betrifft, frostfrei.

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